Schuld?

Bin ich schuld? Was ist das überhaupt? Was versteht man unter Schuldgefühlen und welche Auswirkungen können diese auf unsere seelische Gesundheit haben? Wie kann ich mit Schuld umgehen?

Mrs. Aennipenni

5/5/20254 min read

Bin ich schuld? Was ist das überhaupt?

Unter „Schuld“ versteht man im engeren Sinn einen Verstoß gegen moralische, rechtliche oder religiöse Normen, für den eine Person die Verantwortung trägt. In der Psychologie wird das Thema Schuld eher zurückhaltend behandelt, obwohl „Schuld“ in unserem Alltagsleben sehr präsent ist.

Nachdem die Psychologie sich als eine empirische und beschreibende Wissenschaft versteht, werden hier kein normative oder moralischen Urteile gefällt. Daher fällt die Schuld eher in den Zuständigkeitsbereich von Philosophie, Theologie oder Rechtswissenschaften. In Abgrenzung zu religiösen Deutungen wie Sünde oder Beichte behandelt die Psychologie eher Schuldgefühle.

Schuldgefühle beziehen sich aus psychologischer Sicht also auf das Gefühl oder Bewusstsein, eine moralische oder soziale Norm verletzt zu haben. Damit ist Schuld eng verknüpft mit der Freiheit des Menschen, zu handeln und Verantwortung für sein Tun zu übernehmen.

⁃ Im Unterschied zur Scham, die sich stärker auf die eigene Person („Ich bin schlecht“) bezieht, richtet sich Schuld vordergründig auf eine bestimmte Handlung („Ich habe etwas Falsches getan“). Allerdings können Schuld und Scham beide als soziale Regulatoren wirken, indem sie uns helfen, unser Verhalten an gesellschaftlichen Normen auszurichten.

Was versteht man unter Schuldgefühlen und welche Auswirkungen können diese auf unsere seelische Gesundheit haben?

In der psychoanalytischen Sicht (nach Freud) sind Schuldgefühle eng mit dem sogenannten Über-Ich verknüpft, das Gewissen und verinnerlichte Normen repräsentiert. Werden diese Normen – selbst nur gedanklich – verletzt, reagiert das Über-Ich mit Schuldgefühlen und Bestrafungsängsten. Menschen können dann sogar quälende Schuldgefühle entwickeln, ohne dass eine konkrete reale Schuld vorliegt. Diese Gefühle können zu enormem inneren Druck führen und in manchen Fällen sogar in eine Depression münden.

Wenn Schuldgefühle unangemessen und neurotisch werden, kann psychotherapeutische Hilfe nötig sein, um sie zu lösen und realistische von übersteigerten Schuldgefühlen zu unterscheiden.

Viktor E. Frankl betont in seiner Logotherapie, dass der Mensch trotz äußerer Einflüsse geistig Stellung nehmen kann. Erst diese Freiheit zur Stellungnahme ermöglicht es uns, überhaupt schuldig zu werden.

Zwar wird Schuld oft als belastendes Gefühl wahrgenommen, das zu Rückzug, Reizbarkeit oder Scham führen kann. Doch Schuld kann zugleich etwas Positives bewirken, wenn wir:

⁃ Reue empfinden und Wiedergutmachung anstreben

⁃ Selbst aus negativen Aspekten wie Schuld kann ein Sinn gewonnen werden. Die Einsicht in eigenes Fehlverhalten ermöglicht Lernprozesse, Reue und Veränderung.

⁃ Verantwortung übernehmen

⁃ Schuldgefühle können auch ein Motor sein, um ungewünschtes Verhalten zu korrigieren. So bewahren wir unsere Würde und entwickeln persönliche Reife.

⁃ Das Gewissen als Kompass nutzen

⁃ In der Logotherapie beispielsweise wird das Gewissen als „Sinn-Organ“ beschrieben: Es hilft uns, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden und so künftige Fehlentscheidungen zu vermeiden.

⁃ Allerdings kann Schuld in ihrer übersteigerten Form auch dazu führen, dass Menschen sich klein und nichtig fühlen und entweder in den „Kampf“ (Aggression) oder die „Flucht“ (Vermeidung) gehen. Um diese destruktive Dynamik zu entschärfen, ist ein bewusster Umgang mit Schuld – beispielsweise durch Selbstreflexion oder therapeutische Unterstützung – entscheidend.

Schuldgefühle können sozusagen eine „prosoziale“ Funktion haben. Sie motivieren Menschen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und sich künftig rücksichtsvoller zu verhalten. Scham kann hingegen verhindern, dass Menschen sich ihrer Schuld stellen, weil sie sich zu sehr für ihr Fehlverhalten oder ihre eigene Person schämen und es nicht offen zugeben möchten. In einer funktionierenden Gesellschaft ist es wichtig, dass Individuen „gesunde“ Schuldgefühle entwickeln können, um Einsicht zu zeigen und Konsequenzen zu ziehen. Fehlt dieses Gefühl vollständig, kann das gesellschaftliche Zusammenleben gefährdet sein.

Wie kann ich mit Schuld umgehen?

Unterscheidung zwischen realer und unangemessener (neurotischer) Schuld: Oft fühlen sich Menschen schuldig, ohne dass es eine konkrete Ursache gibt. Es ist wichtig, herauszufinden, ob es für die eigenen Schuldgefühle einen nachvollziehbaren Anlass gibt oder ob sie übersteigert sind.

Bewusstmachen und Benennen: Wer sich seiner Schuld (oder seiner Schuldgefühle) bewusst wird und sie konkret benennt, kann eher klären, wo tatsächlich Verantwortung liegt und was vielleicht nur ein diffuses Gefühl ist.

Verantwortung übernehmen: Reife Persönlichkeit zeigt sich darin, dass man zu seinem Handeln steht, Konsequenzen akzeptiert und Wiedergutmachung versucht, wo es sinnvoll ist.

Professionelle Unterstützung: Bei übermäßig quälenden oder unrealistischen Schuldgefühlen kann psychotherapeutische Hilfe sinnvoll sein, um die Ursachen zu erkennen und eine Überwindung zu ermöglichen.

Selbstvergebung: Manchmal ist es schwieriger, sich selbst zu verzeihen, als von anderen Vergebung zu erfahren. Dieser Schritt ist aber oft essenziell, um Schuldgefühle langfristig zu überwinden.

All diese Punkte machen deutlich: Ein konstruktiver Umgang mit Schuld ist möglich, indem man zunächst klärt, ob die Schuld real oder übersteigert ist, sich seiner Verantwortung stellt und gegebenenfalls auch Hilfe in Anspruch nimmt.

Insgesamt ist Schuld kein rein negatives Urteil von außen, sondern eng mit der Freiheit und Würde des Menschen verknüpft. Wir besitzen die Wahl, ob wir an unserer Schuld zerbrechen oder ob wir sie als Anlass nehmen, persönlich und moralisch zu wachsen.

Zitation:

American Psychological Association. (2022). Understanding guilt. https://www.apa.org

BetterHelp. (n.d.). Guilt & shame. https://www.betterhelp.com

Frankl, V. E. (2017). Man’s search for meaning. Beacon Press. (Original work published 1959)

Frankl, V. E. (1986). The doctor and the soul: From psychotherapy to logotherapy. Random House.

Handbuch der Allgemeinen Psychologie – Motivation und Emotion. (2009). Hogrefe.

Izard, C. E. (1994). Die Emotionen des Menschen (2. Aufl.). Beltz.

Klessmann, M. (2006). Handbuch der Pastoralpsychologie. Neukirchener Verlag.

MindDoc. (2023). Understanding guilt & shame. https://minddoc.de

Psychology Today. (n.d.). Guilt. https://www.psychologytoday.com/us/basics/guilt

Yalom, I. D. (2005). Existenzielle Psychotherapie (4. Aufl.). Knaur.